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VoD in der Schweiz

Lokales Streaming?

Noch dominiert Streamingpionier Netflix das Geschäft, doch die Konkurrenz greift an: Erst Anfang November startete Apple ein neues, bisher überschaubares VoD-Angebot in 100 Ländern, darunter die Schweiz. In Kürze zieht Disney mit einem prall gefüllten Katalog aus Disney-Klassikern, Marvel- und Pixar-Filmen sowie den STAR WARS-Trilogien nach. Und für 2020 hat der US-Medienkonzern Warner die Plattform HBO Max angekündigt, die neben Erfolgsserien wie GAME OF THRONES, THE WIRE und FRIENDS auch eigens für den Dienst produzierte Inhalte bereithalten soll. Es sieht ganz danach aus, als würden die fünf US-Konzerne Amazon, Netflix, Apple, Disney und Warner zukünftig die Streaming-Welt beherrschen. In den Nischen des zunehmend fragmentierten Markts sehen jedoch auch kleinere, lokale Anbieter eine Chance. Im Schweizer Arthouse-Streaming sind neben Plattformen wie lekino.ch längst auch Kinos und Verleiher aktiv. Zwei Akteure berichten von ihren Erfahrungen. 

 

Perspektive Kino - Tobias Faust über myfilm.ch

Europa Cinemas veröffentlichte 2017 eine Umfrage mit dem Schwerpunkt Innovation und Publikumsentwicklung, an der knapp 100 Kinos des internationalen Netzwerks aus insgesamt 22 Ländern teilnahmen. Der Fragebogen widmete sich u.a. dem Thema Video on Demand – mit erstaunlichen Ergebnissen: 27% der befragten Kinos gaben damals an, mit einem VoD-Anbieter zu kooperieren. Immerhin jedes fünfte Kino hatte bereits erste Erfahrungen mit eigenen VoD-Services gemacht. 

Dass sich Kino und VoD längst nicht mehr ausschliessen, beweist auch das Basler kult.kino. Anfang 2019 startete das Arthouse-Kino myfilm.ch, eine VoD-Plattform mit aktuell über 150 Titeln. In einem Pay-per-view-Modell können Filme, die zuvor auf den grossen Leinwänden des Kinos liefen, gestreamt werden. In einzelnen Fällen erfolgt die Auswertung sogar zeitgleich, je nachdem wie es vertraglich mit dem Schweizer Rechteinhaber abgestimmt ist. Alle Filme sind „non-exclusive“, also auch auf anderen Portalen in der Schweiz abrufbar. Für Co-Leiter Tobias Faust, der das Projekt massgeblich voran brachte, steht fest, dass der Druck auf die Auswertungsfenster der Kinos weiter zunehmen wird – und natürlich auch das eigene Stammpublikum Filme streamt. Mit myfilm.ch möchte er eine Alternative aufzeigen, aber auch neue Erfahrungen sammeln und den Markt im Blick behalten. 

„Wir sind spannend, weil unsere kuratorische Arbeit als Marke bekannt ist.“

Den grössten Vorteil gegenüber anderen VoD-Anbietern sieht Faust in der kuratorischen Expertise des Kinos, das sich im Grossraum Basel in den vergangenen Jahrzehnten als feste Marke etabliert hat. Die Plattform richtet sich  – zumal bisher kaum in Marketing investiert wird – vor allem an das Stammpublikum des Hauses. Wer einen Film im Kino verpasst hat, ihn nochmals gucken oder weiterempfehlen möchte, findet ihn auf myfilm.ch. In erster Linie fungiert das Online-Angebot des kult.kinos als Mittel der Kundenbindung. Geplant ist passend dazu, dass Besitzer von Kino-Abonnements künftig zu einem deutlich günstigeren Preis Filme streamen können. „Wer kinotreu ist, profitiert bei uns auch online“, fasst Faust zusammen. Die Nähe zum Publikum war es auch, die Faust abhielt, mit einem VoD-Anbieter zu kooperieren, und stattdessen selbst eine Plattform zu lancieren. Die Kundenbeziehung an eine Plattform abzutreten und lediglich als Vermittler zu agieren, war für ihn keine Option.  

Die technische Umsetzung von myfilm.ch wurde mit einem Service-Partner realisiert, der fortan u.a. die Encodierung und Verschlüsselung übernimmt. Mittlerweile gibt es zahlreiche solcher Dienste, der bekannteste ist Vimeo, Youtube bietet ähnliche Möglichkeiten. Die Investitionskosten konnten auf diesem Weg überschaubar gehalten werden – es mussten weder Maschinen gekauft, noch konfiguriert werden; zusätzliche Entwicklung und Programmierung waren nur sehr begrenzt notwendig. Faust betont, dass die gewählte Infrastruktur dennoch Flexibilität biete. Die Umstellung auf eine Abo-Variante à la Netflix sei jederzeit möglich, aktuell jedoch nicht interessant: „Wenn ich Marketingaufwand für eine Kundenbindungsmassnahme wie ein Abonnement betreibe, ist es im Moment nach wie vor rentabler, wenn diese aufs Kino abzielt. Hinzu kommt eine zweite Überlegung. Der Kinofilm in seiner Produktionsart ist eine abgeschlossene Sache, er entlässt einen im besten Fall so, dass man für den Moment eigentlich genug hat. Und das entspricht dem Charakter eines Stückpreises.“

 „Weg vom Feindbild VoD“

In der Schweiz beistzen die Verleiher im Arthouse-Bereich in den meisten Fällen neben den Kino- auch die VoD-Rechte. Die amerikanischen Major Studios hingegen vergeben die VoD-Rechte europazentralisiert. Kleine Plattformen wie myfilm.ch können hier nicht konkurrenzfähig mitbieten. Bei den Schweizer Verleihern jedoch sieht sich  Faust im Vorteil, schliesslich sind es die gleichen Kontakte, mit denen das Haus die Verträge für die Kinoauswertung verhandelt. Neben dem über Jahrzehnte aufgebauten Vertrauen spielt eine weitere Tatsache eine wichtige Rolle:  Die Sperrfrist, die vorsieht, dass Filme erst vier bis sechs Monate nach dem Kinostart gestreamt werden können, ist sowohl im Interesse des Verleihers wie auch des Kinos. Beide ziehen am gleichen Strang. VoD-Plattformen, die nicht in die Kinoauswertung involviert sind, pochten auf möglichst kurze Fristen, ist sich Faust sicher.   

Welche Bilanz zieht das kult.kino nach knapp 10 Monaten myfilm.ch? Über 900 Personen haben auf der Plattform bis dato rund 1300 Kaufabschlüsse getätigt, Tendenz steigend. Der Umsatz von knapp CHF 11‘000 entspricht umgerechnet erst einigen wenigen Kinovorstellungen und ist rein monetär noch nicht relevant. Aber: „Es hat was bewegt, auch intern bei uns im Betrieb: Weg vom Feindbild VoD, hin zu einer neugierigen Haltung“, resümiert Faust. 

 

Perspektive Plattform - Andreas Furler über cinefile

Ebenfalls an ein filmbegeistertes Nischenpublikum richtet sich Andreas Furler mit cinefile.ch, einer kuratierten Arthouse-Plattform, die sich durch ihren Hybridcharakter auszeichnet. Das Streaming-Angebot von zurzeit ca. 330 Filmen – der Katalog wächst, soll jedoch überschaubar bleiben –  wird durch Informationen zum laufenden Kinoprogramm ergänzt. Dazu kommen magazinartige Elemente wie Interviews und Kurzkritiken. In der Kombination von Streaming und Kinoinformation sieht auch Furler keinen Widerspruch, im Gegenteil: „Die Leute sind ja nicht einfach vom Kino zum Streaming übergelaufen, wir alle sind Grenzgänger geworden und schauen Filme mal so, mal so“, argumentiert er. 

„Es herrscht Goldgräberstimmung“

Das Zusammendenken der drei Medien – Kino, Streaming, Magazin – erklärt sich auch aus Furlers Werdegang. Nach einer langjährigen Tätigkeit als Filmjournalist war  er  13 Jahre lang Co-Leiter des Filmpodiums in Zürich. Dort erlebte er den digitalen Wandel hautnah und beschloss nach einem Zwischenspiel bei einem Filmverleih, eine eigene Geschäftsidee auf die Beine zu stellen. Vor 15 Monaten ging cinefile.ch schliesslich online. Anders als auf myfilm.ch können Filme sowohl im Pay-per-view-Modell als auch im Flatrate-Abonnement gestreamt werden. „Unser erstes Jahr hat gezeigt, dass man sich im Nischenbereich von Arthouse keine Illusionen über die Möglichkeiten von pay-per-view machen darf. Der Kampf der Global Players Netflix, Disney, Apple und Amazon um den Mainstream-Markt hat die ganze Streaming-Branche zwar in Goldgräberstimmung versetzt. Doch lokales Arthouse-Streaming ist genauso ein Nischenprodukt wie die lokalen Arthouse-Kinos“, so Furler. Konkret bietet cinefile mit Stream99 neu jährlich 99 Langfilme in einem Abo für monatlich 9 Franken an. Die Rechteinhaber der Filme werden vorweg mit festen Fees entschädigt, der Aufbau bzw. die Vorkosten des Abos sind folglich teuer. Eine weitere Schwierigkeit stellen die verlängerten Sperrfristen da: Als SVOD dürfen Filme in der Regel erst 24 Monate nach dem Kinostart angeboten werden. Cinefile  setzt bei seinem SVOD-Angebot deshalb vermehrt auf Filmklassiker.  Die Einführung des Flatrate-Angebots hat sich für Furler dennoch gelohnt: Mit der Lancierung wuchs die Zahl der Seitenbesucher auf cinefile innert Monatsfrist um 55%, während sich die Anzahl gestreamter Filme verdreifachte. Wurden von Oktober bis Dezember 2018 noch knapp 140 Filme auf cinefile geschaut, so dürften es allein im Dezember 2019 rund 700 werden, 15x mehr als vor einem Jahr. 

„Wir erleben Offenheit, aber auch Skepsis“

Auch cinefile arbeitet für die Streaming-Technologie mit einem externen Dienstleister zusammen. Back- und Frontend sowie die mit der Plattform verknüpfte Datenbank wurden jedoch eigens entwickelt, was mit hohen Grundkosten verbunden war. Das Marketing zur Seite nimmt dieser Tage an Fahrt auf, bisher setzte die Firma vor allem auf Partnerschaften, zum Beispiel mit Kinos. Mit rund 40 Sälen in der Schweiz hat Furler einen Werbeaustausch organisiert, sie sind online auf cinefile präsent, im Gegenzug wird die Plattform im Kino beworben. Die Reaktionen der Kinos auf eine mögliche Kooperation mit einer VoD-Plattform beschreibt Furler als sehr unterschiedlich: „Wir erleben Offenheit, aber auch Skepsis. Das ist verständlich. Schliesslich kannibalisiert man sich ein Stück weit selbst, wenn man dem eigenen Stammpublikum zu verstehen gibt, dass sie die Filme in drei, vier Monaten, auch streamen können – und das zu einem günstigeren Preis.“ Eine vertiefte Zusammenarbeit testet er seit kurzem mit der Neugass-Kinogruppe. Für jeden Nutzer, der von den Websites der Neugass-Kinos kommt, fliesst eine Einnahmebeteiligung an die Gruppe zurück. Mit weiteren Ketten ist er im Gespräch.  

Um das Profil von cinefile weiter zu schärfen, möchte Furler in Richtung Magazin weiterdenken. Ihn interessieren neue Formate, die Film stärker mit filmischen Möglichkeiten analysieren. Die big player wie Netflix, Amazon, Disney+ und Apple TV+ hat er immer im Blick, obwohl sie nicht seine direkte Konkurrenz sind bzw. sein werden. Er ist gespannt, wie Exklusivität und Sperrfristen zukünftig gehandhabt werden. Als Verlierer des grossen Verdrängungskampfs auf dem Mainstream-Markt sieht er in erster Linie die Konsumenten: „Die müssen sich dann entscheiden: Wie viele Abos löse ich?“

Wer setzt sich durch?

Es gilt abzuwarten, wer sich auf Dauer durchsetzen kann, wie sich die Auswertungsstrategien entwickeln werden und welche Rolle dem Fernsehen zukünftig zukommen wird. Noch wandeln sich die Situation und die Konditionen ständig. Fest steht schon jetzt: Mit der Offensive der internationalen Streaming-Dienste steigt die Zahl der Produktionen. Apple, Amazon und Co. sichern sich Filme zunehmend mit exklusiven Deals und investieren massiv in Inhalte. Ob davon auch etwas bei den Arthouse-Produzenten ankommt, bleibt jedoch fraglich…

 

Wir möchten darauf hinweisen, dass auf dem Schweizer Markt eine Vielzahl von VoD-Anbietern aktiv sind, die im Text keine Erwähnung finden. Mit myfilm.ch und cinefile.ch wurden lediglich zwei Akteure exemplarisch für das Arthouse-Streaming ausgewählt.

Interviews & Text: Sophie Danner, Originaltext deutsch. Dezember 2019